DER SCHAMANISMUS ALS TROPE FÜR EINEN ERWEITERTEN REALITÄTSBEGRIFF IN KUNST UND FILM - Vortrag von Oliver Müller

Filmstill aus Gran Torino (USA 2008, Regie: Clint Eastwood)

















Rituelle Heiler und Schamanen erleben seit dem Ende des kalten Krieges wieder eine besondere Aufmerksamkeit in der westlichen Wissenschaftsschreibung. Eine subtile Rezeption schamanischer Praxis, Mythenbildung und Kosmologie findet jedoch bereits seit mehreren hundert Jahren, nämlich mit dem Einsetzen der Epoche der Neuzeit, in der gesamten euroamerikanischen Kulturgeschichte in besonderer Art und Weise statt. Dieser fortlaufenden Rezeptionsleistung stets immanent war die instrumentalisierende Einverleibung des Schamanismus in westliche Zivilisierungsdiskurse.
Religion und Wissenstradierung lassen sich hierbei genauso als inhaltliche Pole ausmachen wie Fragen nach körperlicher und geistiger Entgrenzung oder der Ästhetisierung  des Fremden und Absonderlichen.  Seit der Veröffentlichung von Der Betrüger. Der Verblendete. Der sibirische Schaman. Drey Lustspiele wider Schwärmerey und Aberglauben  im Jahr 1788 durch keine Geringere als Katharina II. von Russland [1] waren Schamanen gerade auch in fiktionalisierend künstlerischer Hinsicht immer wieder Gegenstand ebensolcher Reflexionen.
Diese spezielle Form des „schamanischen Diskursfeldes“ entfaltete gerade ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine ungeheure Wirkmacht auf bestimmte soziokulturelle Milieus und Subkulturen. Im Anschluss an Carlos Castaneda und die shamanic experiential literature sollen im Vortrag von Oliver Müller einzelne emblematische Beispiele dieser kreativen Aneignung aus dem Bereich der Prozess- und Aktionskunst der 60er und 70er Jahre näher vorgestellt werden. Ein inhaltlicher Bogen zur zeitversetzt, vornehmlich in den 90er Jahren einsetzenden filmischen Abbildung von spirituellen Medien und sogenannten Geisterheilern soll diese Betrachtung schließlich abrunden.

[1] Der Betrüger. Der Verblendete. Der sibirische Schaman. Drey Lustspiele wider Schwärmerey und Aberglauben. Berlin (Friedrich Nicolai) 1788.



Oliver Müller, M.A. hat Ethnologie und Kunstgeschichte an der Martin Luther Universität Halle-Wittenberg studiert und ist zurzeit als freier Dozent und freier Kurator tätig. Neben seiner fortlaufenden Auseinandersetzung mit der westlichen Rezeptionsleistung des Schamanismus und anderen Formen „primitiver“ Magieausübung arbeitet er derzeit mit zahlreichen Künstlern und Nachwuchswissenschaftlern aus dem Raum Halle/Leipzig an einer Ausstellung über kreative Erwerbstätigkeit im Wechselspiel von beruflicher Etablierung und prekarisierter (Über)-Lebenskunst.



!Achtung geänderter Termin!

Sonntag, 26.05.2013 um 17 Uhr